Der Beuth Verlag nimmt in seinem EnEV-Normen Online Service eine neue Norm aus dem Bereich des Denkmalschutzes auf: die DIN EN 16883:2017–08 –Erhaltung kulturellen Erbes – Leitlinien für die Verbesserung der energiebezogenen Leistung historischer Gebäude. Dieser Online-Dienst enthält alle in der Energieeinsparverordnung zitierten DIN-Normen und die relevanten Planungs- und Ausführungsnormen mit weiteren Berechnungsnormen.
Damit erhalten Fachplaner seit Jahren schon in bewährter und ständig aktualisierter Form Zugang zum komplexen Normenwerk der EnEV.
ENTECH begrüßt ausdrücklich die Veröffentlichung der DIN EN 16883:2017–08 über die Aufnahme in den EnEV-Normen Online Service.
Erstmalig steht nun den Nutzern des Online-Service mit der DIN EN 16883 eine Norm zur Verfügung, die zwei Themenblöcke zusammenführt: die beiden oft vermeintlich in Konkurrenz stehenden Aspekte der Energieeffizienzverbesserung und der Erhalt von historischen Gebäuden! Direkt wird diese Norm nicht von der EnEV zitiert und nach detaillierter Normenrecherche vermutlich auch nicht indirekt über eine andere Norm. Insofern wird sie vom Beuth Verlag trotzdem als relevante Planungs- und Ausführungsnorm gesehen. Eine anerkannte Regel der Technik ist sie damit nicht automatisch: erst wenn sie die mehrheitliche Ansicht der technischen Fachleute darstellt. Das ist der Fall, wenn sie nicht nur allgemeine wissenschaftliche Anerkennung gefunden, sondern sich auch praktisch bewährt hat. Ob sie das zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits ist, kann an dieser Stelle nicht bewertet werden.
Die DIN EN 16883 stellt Leitlinien für die nachhaltige Verbesserung der „energiebezogenen Leistung“, also der Energieeffizienz historischer Gebäude bereit. Die Anwendung dieser Norm ist nicht auf Gebäude beschränkt, die unter gesetzlichem Denkmalschutz stehen, sondern gilt für historische Gebäude aller Arten und Alter, das heißt historisch, architektonisch oder kulturell wertvoller Gebäude, unter Berücksichtigung ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung.
Was bringt die Norm nun für die Energieberatung?
Das Verfahren bewertet die Auswirkung von Effizienzverbesserungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Erhaltung der charakteristischen Merkmale des Gebäudes.
Normative Vorlage für KfW Energieberater für Denkmale
Es steht den sogenannten „Energieberatern für Denkmale“ – einer Sachverständigenqualifikation im Zusammenhang mit KfW-Fördermitteln (Programm 151/152 „Energieeffizient Sanieren“) ein normiertes Werkzeug zur Verfügung, welches über den klassischen Konflikt von energetischen Sanierungsanforderungen nach EnEV und KfW auf der einen Seite und denkmalpflegerischem Erhaltungswillen auf der anderen Seite hinaus Leitlinien für die Effizienzverbessrung „historischer Gebäude“ vorgibt. Ebenso sieht auch die KfW den sachverständigen Energieberater mit Spezialausbildung in wichtiger Funktion. So z.B. in folgender Regelung aus den technischen Mindestanforderungen:
„Werden bei der energetischen Fachplanung die Zielwerte eines Jahres-Primärenergiebedarfs (QP) von 160 % und/oder eines Transmissionswärmeverlusts (H’T) von 175 % aufgrund von Auflagen des Denkmalschutzes bzw. zum Schutz sonstiger besonders erhaltenswerter Bausubstanz oder auch aus bauphysikalischen Gründen nicht erreicht, ist eine Förderung für ein KfW-Effizienzhaus Denkmal dennoch möglich. Voraussetzung für die Förderung ist die Bestätigung des Sachverständigen, dass aufgrund von Auflagen des Denkmalschutzes oder zum Schutz sonstiger besonders erhaltenswerter Bausubstanz nur das jeweils erreichte energetische Niveau möglich ist.“
Ähnliche Regelung gibt es für Einzelmaßnahmen. Der Energieberater soll – so kann man die KfW-Regelungen verstehen – mit denkmalpflegerischer Sensibilität auch außerhalb des gesetzlich definierten Begriffs „denkmalgeschütztes Gebäude“ unterwegs sein und gut begründet über Ausnahmeregeln Effizienzmaßnahmen an historischer Substanz förderbar machen.
Denkmalpflegerische Sprache
Die Norm bietet eine Einführung in denkmalpflegerische Sprache. Wichtige Begriffe wie „Konservierung“, „Authentizität“, „Reversibilität“ etc. werden klar definiert. Auf der anderen Seite werden aber auch dem Denkmalpfleger Begriffe wie „Energieverbrauch“ und Energiebedarf“, „energiebezogene Leistung“ etc. erläutert. Mit einer gemeinsamen Sprache können alle Beteiligten besser miteinander im Team kooperieren.
Anleitung zum teamorientierten und strukturierten Arbeiten aller Beteiligten
Die Norm stellt einen normativen Arbeitsablauf für die Auswahl von Maßnahmen zur Verbesserung der energiebezogenen Leistung auf Grundlage einer Untersuchung, Analyse und Dokumentation des Gebäudes und seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung vor. Ähnlich den bei Energiemanagementsystemen (DIN EN ISO 50001 o.ä.) bekannten PDCA-Zyklen werden iterative Prozesse (siehe Bild) vorgegeben, bis hin zur Evaluierung des Maßnahmenerfolgs. Gebäudeeigentümer, Behörden (Denkmal-) und Fachleute (Architekten, Energieberater, Sachverständige) sollen in einem Projektteam kooperativ zusammen arbeiten. Die Norm definiert diedafür relevanten Fachkenntnisse und Qualifikationen der Teilnehmer.
Der Begriff der Nachhaltigkeit wird definiert
Vier Aspekte der Nachhaltigkeit werden beschrieben:
- Umweltbezogene Nachhaltigkeit: Materialien und Energie über den Gesamtlebenszyklus, Nutzung erneuerbarer Ressourcen, Reduzierung von Treibhausgasen.
- Wirtschaftliche Nachhaltigkeit: langfristige Nutzung soll ermöglicht werden, durch Berücksichtigung von Faktoren wie Marktwert, Erlöse oder Betriebskosten.
- Soziale Nachhaltigkeit: ein Beitrag zum örtlichen und sozialen Kontext der Nutzung soll geleistet werden
- Kulturelle Nachhaltigkeit: die kulturgeschichtliche Bedeutung soll für gegenwärtige und zukünftige Generationen bewahrt werden.
Gut definierte Anleitungen für die Gebäudeaufnahme und –bewertung
Detailliert wird hier die Vorgehensweise beschrieben für:
- Allgemeine Gebäudeinformationen,
- Beschreibungen der kulturgeschichtlichen Bedeutung und Konservierungsmöglichkeiten und – beschränkungen
- Bewertung der Gebäudenutzung
- Dokumentation der Gebäudestruktur und – bauteile, des Gebäudezustandes und der Umwelteinflüsse
- Bewertung der energiebezogenen Leistung
- Bewertung des Raumklimas
Prinzipiell sollte jedem Energieberater insbesondere die Systematik des 5. Punktes mit den Inhalten: Ist-Analyse, Energiebilanzierung, Maßnahmenerarbeitung und –bewertung geläufig sein. Aber auch hier tauchen Besonderheiten auf, wie die viel längere Lebensperspektive historischer Gebäude beispielsweise.
Die Rolle des Energieberaters im Prozess: fachkonzentriert oder fachübergreifend?
Bekannt in der Beratungspraxis ist sicherlich die Festlegung von Zielen in Absprache mit dem Gebäudeeigentümer. Neu aber ist der Einbezug der kulturgeschichtlichen Bedeutung des Gebäudes sowie – für den Energieberater fast irritierend – die Frage, ob eine Verbesserung der energiebezogenen Leistung überhaupt erforderlich ist. Hier stellt sich die Frage nach der Rolle des Energieberaters:
Variante 1: Maximalforderer im Sinne der Energieeffizienz
Steht er nur für sein Fachgebiet „gerade“ und durch die Norm, den beschriebenen iterativen Optimierungsprozess etc. erhält er Kompetenzen über seinen Tellerrand hinaus, die lediglich für ein besseres Verständnis des kulturhistorischen Parts und eine bessere Kommunikation sorgen sollen? Ist er dann nur der übliche Dienstleister im Auftrag des Gebäudeeigentümers mit der Beratungsaufgabe zur Prüfung von technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit möglicher Effizienzverbesserungsmaßnahmen, ggfs. ergänzt um die förderfinanztechnische Optimierung oder bauphysikalische Detaillösungen?
Variante 2: Bewahrer und Fürsprecher von Gebäuden von kulturhistorischen Bedeutung Oder soll allein schon in seiner Person eine Abstimmung zwischen Effizienzverbesserung und Bewahrung historischen Kulturguts erfolgen? In der Norm wird der Fokus hinsichtlich der Qualifikationen und Fachkenntnisse auf das gesamte Projektteam gelegt. „Die Auswahl an Maßnahmen wird unter Anwendung eines stufenweisen Prozesses unter Einbeziehung eines fachübergreifenden Teams getroffen …“
Das Team soll in der Summe und in der personellen Zusammenstellung der Komplexität der Aufgabenstellung entsprechen und zwar in enger Zusammenarbeit mit den Eigentümern und Nutzern. Der Auftraggeber oder Gebäudeeigentümer gibt dem Projektleiter die Ziele eindeutig vor. Die Grundzüge der Zusammenarbeit sind früh genug festzulegen, um zu ermitteln, wer für den jeweiligen Teil des definierten Bewertungssystems zuständig ist.
Daraus lässt sich ableiten, dass die Norm die Experten in Ihrem jeweiligen Fachgebiet sieht oder anders formuliert: über klare Aufgabenverteilungen – letztendlich geeignete vertraglich zu vereinbarende Aufträge – erhält jeder Teilnehmer seine Rolle zugewiesen, für die er Kernkompetenz besitzt.
Gute und systematische Bewertung und Auswahl von Maßnahmen
- Erstellung einer Gesamtliste der möglichen Maßnahmen
- Ausschluss ungeeigneter Maßnahmen
- Bewertung der verbleibenden Maßnahmen
- Auswahl von Maßnahmenpaketen (z.B. zur Zielerreichung KfW-Effizienzhaus o.ä.)
- Bewertung der Maßnahmenpakete in Bezug auf die Ziele
Dafür legt die Norm einen Bewertungskatalog vor mit Kategorien aller Bereiche sowie eine fünfteilige Bewertungsskala zur transparenten Bewertung und für einen fachübergreifenden Dialog.
Bezug auf „Altbewährtes“
Es werden bekannte und eingeführte Normen teilweise oder als Ganzes zitiert, i.d.R sind dies undatierte Verweise. Damit gilt jeweils die letzte Ausgabe. Die wichtigsten drei sind:
Im Bereich der kulturgeschichtlichen Bewertung wird auf die Norm EN 16096, Erhaltung des kulturellen Erbes – Zustandserhebung und Bericht für das gebaute Kultureerbe verwiesen. Diese ist im EnEV-Normen Online Service leider nicht verfügbar und muss separat erworben werden.
Die Systematik im Bereich der Energieeffizienz ist vorgegeben durch EN 16247–2, Energieaudits – Teil 2: Gebäude. Diese stellt eine detailliertere, auf Gebäude angepasste Form der EN 16247–1 dar, die über die BAFA-Mittelstandsberatung für kleine und mittlere Unternehmen oder auch durch das Energieaudit nach EDL‑G für große Unternehmen vielen Energieberatern bekannt sein dürfte. Beide Normen sind im EnEV-Normen Online Service verfügbar.
Berechnungsmethodisch soll die energiebezogene Leistung nach EN 15603, Energieeffizienz von Gebäuden – Gesamtenergiebedarf und Festlegung der Energiekennwerte ermittelt werden. Diese wurde aber zurückgezogen und im März 2018 ersetzt durch DIN EN ISO 52000–1:2018–03. Dort wird die DIN EN 15603: 2008-07 als „frühere Ausgabe“ bezeichnet. Daher ist gilt der Verweis auf DIN EN ISO 52000–1.
Zusammenfassung:
ENTECH begrüßt ausdrücklich die Veröffentlichung der DIN EN 16883:2017–08 über die Aufnahme in den EnEV-Normen Online Service. Inhaltlich stellt Sie den Schulterschluss zwischen Energieeffizienz und Denkmalpflege (im weitesten Sinne) dar. Wir hoffen, dass die Norm über diesen Zugang eine breitere Fachöffentlichkeit findet und empfehlen die Lektüre u.a. Denkmalpflegern, Architekten und Planern sowie Energieberatern.